Die Wirtschaftskrise verschärft die jahrelange Rezession in der Musikindustrie. Die Tonträgerumsätze gehen seit Jahren markant zurück. Digitale Musikangebote im Internet und übers Mobiltelefon können die Einbußen nicht ausgleichen. Ein Grund dafür: Eine falsche Lizenzpolitik der Label.

Die Musikindustrie kann sich der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht entziehen. So vermelden die nationalen Musikindustrieverbände für 2008 dramatische Umsatzeinbrüche. Aber die Wirtschaftskrise verstärkt nur einen Abschwung am Tonträgermarkt, der bereits in den späten 1990er Jahren eingesetzt hat. So sank der CD-Stückabsatz im Zeitraum von 2000 bis 2008 auf den größten Musikmärkten zwischen 35% (Großbritannien) und 59% (USA). Der österreichische CD-Markt gehört mit einem Rückgang von 57% zu den größten Verlierern. Diese Rezession ist ein Symptom für einen Paradigmenwechsel von Musik als Produkt in Form eines Tonträgers hin zu Musik als Dienstleistung in Form von Online- und Mobile-Music-Angeboten.

 

Der Digitalmarkt kann die Verluste im Tonträgersegment nicht wettmachen

Vorerst können aber die Zuwächse am Digitalmarkt (Downloads, Streaming, Klingeltöne) die Verluste im Tonträgersegment nicht kompensieren. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Wirtschaftskrise ist das Geschäft mit MP3 und Co. nicht mehr aufzuhalten. In den USA lag 2008 der Anteil der digitalen Musikdistribution bereits bei 39% des Gesamtumsatzes. Und auch die internationalen Musikkonzerne vermelden in ihren jüngsten Geschäftsberichten von eindrucksvollen Zuwächsen im nicht-physischen Musikvertrieb. Atlantic Records, ein Sublabel der Warner Music Group, erzielte 2008 erstmals einen Umsatzanteil digitaler Musik von über 50%. Dennoch können nicht alle Musik-Majors die Verluste im Tonträgersegment durch Zuwächse im digitalen Vertrieb ausgleichen.

 

 

Physisch

Digital

 

Umsatzänderung 2007/2008

Änderung in %

Umsatzänderung 2007/2008

Änderung in %

Universal Music Group

– 560 Mio. EUR

– 18%

+197 Mio. EUR

+31%

Sony Music Entertainment*

k.A.

– 41%

k.A.

k.A.

Warner Music Group*

– 117 Mio. US$

–   5%

+165 Mio. US$

+38%

EMI Music Group**

 –   26 Mio. GBP

–   8%

+  30 Mio. GBP

+38%

Quelle: IKM nach Angaben in den Geschäftsberichten der Musik-Majors.

*  Quartalsvergleich Ende 2008

** Halbjahresvergleich Ende Sep. 2008

Musikserviceanbieter operieren mit Verlusten

Trotz der gut laufenden Geschäfte am Digitalmarkt können die führenden Download-Portale nur bedingt profitieren. So bescherte der Anstieg der Zahl der Subskribenten von 600.000 auf 775.000 im Jahr 2008 dem Musikaboservice Rhapsody einen Umsatzzuwachs von 8%, was allerdings einen Verlust vor Steuern von 11,8 Mio. US$ ergab.

Warum wirft das digitale Musikgeschäft immer noch keinen Gewinn ab? Antworten auf diese Frage wurden auf dem vom US-Branchenmagazin Billboard ausgerichteten Money & Music-Symposium in New York gesucht. Vertreter von Risikokapitalfirmen drohten dabei mit dem Rückzug ihrer Investments in Onlinemusik-Start-ups, weil 80-90% der Erträge nur für Lizenzzahlungen an die Labels aufgebracht werden müssten, womit langfristig keine Gewinnmargen zu erzielen wären.

Falsche Lizenzpolitik der Label

Genau in dieselbe Kerbe schlagen Wissenschafter von der Technischen Universität Darmstadt, die in einer repräsentativen Onlineumfrage in Deutschland nachgewiesen haben, dass der übliche Preis von 99c für einen Download aus Sicht potentieller Musikkäufer zu hoch ist. Sie errechneten, dass das Umsatzmaximum bei einem Preis pro Download von 33c liegen würde. Sie kritisieren ähnlich wie die US-Risikofinanzierer die hohen Lizenzabgaben an die Labels, die letztendlich allen Beteiligten im Wertschöpfungsnetzwerk schaden. Sie rechnen vor, dass bei einer Maximalnachfrage von N = 10.000, 6.481 Personen einen kostenpflichtigen Download um 33c machen würden, was einem Umsatz von 2.184 Euro entspräche. Bei einem Preis von 1,39 Euro würden nur 397 Personen downloaden, womit aber nur 552 Euro umgesetzt werden könnten. Auf diese Weise „verschenkt“ man rund ¾ des möglichen Umsatzes.

Quellen:

Billboard, „Sony Music Sales Drop 22%“, 29. Jan. 2009

Billboard, „Rhapsody Revenue Up 14%“, 13. Feb. 2009

Billboard, „Music & Money: VC Firms May Pull Back On Music Investments“, 05. Mär. 2009

IFPI Digital Music Report 2009

New York Times, 26. Nov. 2008

Strube J., Pohl G. und Buxmann P., 2008, „Preisstrategien für Onlinemusik“ in: Gensch, Stöckler, Tschmuck (Hg.), Musikrezeption, Musikdistribution und Musikproduktion. Der Wandel des Wertschöpfungsnetzwerks in der Musikwirtschaft, Wiesbaden: Gabler Edition Wissenschaft, S. 187-203.

Tschmuck P., 2008, „Vom Tonträger zur Musikdienstleistung – Der Paradigmenwechsel in der Musikindustrie“ in: Gensch, Stöckler, Tschmuck (Hg.), Musikrezeption, Musikdistribution und Musikproduktion. Der Wandel des Wertschöpfungsnetzwerks in der Musikwirtschaft, Wiesbaden: Gabler Edition Wissenschaft, S. 141-185.

9 Gedanken zu “Der Tonträger ist tot! Es lebe der Musikdownload?

  1. „auf diese weise lernt man neue musik kennen“, ist dieses pseudo-argument, das unhintefragt gebetsmühlenartig vorgetragen wird. denken wir mal ganz konkret und im detail, wie das funktionieren soll. ich verstehe nämlich immer noch nicht, wie man mit hilfe von youtube oder p2p-software neue musik kennen lernen soll? wenn ich den künstler/songnamen in ein suchfeld eingebe, dann kenne ich ihn offensichtlich ja schon. und wenn ich ihn schon kenne, brauch ich nur auf seine künstlerseite, myspace, itunes oder amazon gehen und kann mich dort informieren, die musik hören und evtl. kaufen. das sind kanäle, die vom künstler/label authorisiert sind und er/es kann entscheiden wieviel er/es für promotionzwecke freigeben will. bei amazon und itunes habe ich auch empfehlungssysteme, bei myspace auch interaktivität. die promotionfunktionen sind somit komplett abgedeckt.

    warum nutzen die konsumenten dennoch youtube und nicht die oben genannten kanäle? weil sie dort eben alle produkte umsonst bekommen. zudem sind youtube-videos sogar soviel konsum, dass man lästige, echte werbung über sich ergehen lässt, um eben das eigentliche produkt zu konsumieren. es wird ja werbung von youtube in den videos geschaltet. nach deiner logik wäre das dann werbung schalten in werbung? macht das sinn?

    die zeiten, in denen youtube was neues freshes ist, wo man dabei sein muss, sind lange vorbei. youtube ist längst alltag und ein ganz normales geschäftsmodell. on-demand konsum von medien aller art. dass das so erfolgreich ist, ist auch klar. wenn ich (youtube) alle medien umsonst anbieten kann und der konsument per mausklick alles umsonst haben kann, wäre es ein wunder, wenn es nicht erfolgreich wäre.

    in dieser ganzen diskussion um die neuen medien und deren auswirkungen auf content produzenten, bleibt unterm strich (leider) immer nur noch ein argument auf seiten der konsumenten übrig – geiz. und dieser geiz (leider ist der begriff negativ besetzt, was er gar nicht sein müsste) wird mit hilfsargumenten (meist irgendwelche promotionargumente, siehe oben) schön geredet. aber wenn man mal einen schritt zurücktritt: welche motivation haben konsumenten, p2p und youtube zu verteidigen? sie bekommen jeden content umsonst. das ist das einzige wirkliche argument.

    folgendes beispiel: keiner regt sich momentan darüber auf, dass ein buch 10-30 euro kostet. dass das nicht das papier ist, auf dem gedruckt wird, ist klar. angenommen, das digitale buch wird bald realität. eigentlich sollte sich doch an der einstellung der konsumenten nichts ändern, oder? es wird aber dann so sein, dass die konsumenten plötzlich ein buch für viel zu teuer halten, bzw. überhaupt kein geld mehr bereit sind dafür zu zahlen. es wird portale geben, die bücher online stellen und mit dem generierten traffic geld verdienen. argumentiert wird dann mit: ja ist doch promotion. ein buch dient ja als werbeprospekt für andere aktivitäten des autors oder für dessen lesungen.

    man muss gar nichts in die luft sprengen. itunes, beatport, nokia comes with music etc. sind alles sehr vernünftige und faire geschäftsmodelle, bei denen konsumenten einen fairen deal bekommen und künstler auch. wenn es aber p2p nebenher gibt, werden diese modelle kaum eine chance haben. und warum eine kulturflatrate, bei der ein paar wenige darüber entscheiden welcher künstler wieviel bekommt? von der machbarkeit einer effizienten kulturflatrate und deren manipulierbarkeit mal ganz abgesehen. ein ganz normales kommerzielles flatrate-modell, wie bspw. das von nokia ist da um potenzen besser.

    und noch ein wort zur machbarkeit der kontrolle des contents. kennst du shazam? du hälst dein i-phone an den lautsprecher und paar sekunden später hast du titel, künstler etc. auf deinem display. sprich, die technologie musik zu scannen und zu identifizieren ist längst vorhanden. nur hat youtube keinen anreiz sie zu verwenden.

  2. natürlich gibt es viele musikvideos, filmausschnitte, sogar reine tracks ohne video. aber diesbezüglich stimmt es nicht ganz das youtube keine lizensierungsgebühren abführt. soweit ich weiß geschieht das sehr wohl.
    in vielen fällen handelt es sich außerdem und handy-mitschnitten von konzerten. und kaum einer von diesen ist „verkaufbar“. oft lernt man aber auf diese weise neue musik erst kennen. und in den meisten fällen, also von denen die gefallen, reicht einem ein youtube-schnipsel nicht aus, zumindest kann ich das für mich feststellen, sondern weckt interesse an mehr, das letztendlich einerseits zum geld ausgeben motiviert, andererseits es weiterzuempfehlen. kurzum: für mich wiegt der promotion-effekt in diesem fall eventuell entgangene einnahmen bei weitem auf.
    hinzukommt, dass youtube und auch andere plattformen urhr geschütztes material bei entsprechenden hinweisen der betroffenen entfernen. nun kann man sagen es wäre ihre aufgabe zu kontrollieren was frei zugänglich ist. das ist aber meiner meinung nach nicht so und sie könnten es auch gar nicht. denn meist geht es da um konkrete videos und nicht darum alles was mit einem track zusammenhängt zu löschen. denn das eine oder andere schnipsel sieht dann doch jeder künstler, jedes label und alle recht-inhaber gern auf youtube – man mag ja schon dazugehören, teil dieser kultur sein. Weil: ein wesentlicher gratifikationsaspekt hinsichtlich musikhören – und damit auch die motivation dazu – liegt in der anschlusskommunikation über eben diese. Und nachdem diese mittlerweile viel im netz und sogar direkt auf solchen plattformen – auch in ermangelung entsprechender chatrooms in der „real world“ (und daran ist die musikindustrie selbst schuld, denn mediamarkt und saturn laden nicht gerade zum plauschen über das neues album von dem und jenem ein) – geschieht muss man natürlich auch da vertreten sein…denn was keiner kennt darüber kann auch nicht geredet werden. Und plattformen wie youtube stellen nun mal so was wie „neue“ leitmedien dar. und das leitmedien wesentlich am setzten der gesellschaftlich relevanten agenden teilhaben ist glaub ich klar. Denn z.b.: umweltverschmutzung und den treibhauseffekt gibt es nicht erst seitdem es die medien zu einem ihrer lieblingsthehmen gemacht haben. Trotzdem wird „öko“ sein erst in den letzten jahren aus der „jutte-langhaar-vegetarier-ecke“ geholt und lifestyle-mäßig „funky-fresh“. Jerry seinfeld bringt das in einer episode in sarkastischer weise auf den punkt. Sinngemäß witzelt er in etwa so:
    „es ist ein wunder das alles was jeden tag auf der welt geschieht genau in die zeitung passt!“
    Und auf youtube „passen“ möchte ja dann schon jeder…
    außerdem ist auch klar: bei der menge an videos, die tagtäglich veröffentlicht werden bräuchte es ein paar hundert menschen, die jeden tag nix anderes tun als videos auf urhr verletzungen zu überprüfen – anders gesagt youtube in der form wäre nicht existenzfähig und es wäre vorbei damit. und natürlich auch mit allen anderen plattformen die auf ähnlicher basis funktionieren. das halte ich aber für äußerst bedenklich, in bezug auf die evolution der alltagskultur und ihre praktiken sogar schädlich. denn was abzudrehen nur weil es eine seite mit veralteten reglementierungen nicht in die gewünschten bahnen lenken kann ist milde formuliert nicht unbedingt innovationsfreudig, sondern eher was von „früher war alles besser und die haarschnitte noch ordentlich“. anders gesagt: man sollte sich gedanken machen wie man das „problem“ in den griff bekommt ohne alles in die luft zu sprengen – allen die haare abzurasieren wie beim bundesheer – denn dann bleibt nur verbrannte erde auf der nix wachsen kann. womit wir beim thema des nächsten jour-fixe wären: kulturflatrate und wie sie verteilt werden könnte…

  3. Da bin ich grundsätzlich bei dir – keine Frage. Nur lass uns die Sache etwas realistischer und pragmatischer betrachten.

    Fact ist doch (leider habe ich die Quelle nicht da), dass 60-70% des youtube-traffics durch ganz normale Musikvideos generiert wird, die per on-demand abgefragt und konsumiert werden. Das ist weder Sampling, noch Promotion, noch Vernetzung, sondern schlicht und einfach Konsum und für youtube Werbeeinnahmen. Ddavon hatte ich geredet und diese relativ leichte Differenzierung (Promotion vs. Konsum) findet man in fast keiner öffentlichen Diskussion.

    Weitere 20% sind lustige Katzen-, Pandabären- und Babyvideos. Hat auch keiner was dagegen, denn das kann ja, im Gegensatz zu oben, einen Promotioneffekt entfalten. Denn hier läuft Musik zur Untermalung und keiner hat speziell nach der Musik gesucht – die erscheint ja auch nicht im Titel des Videos.

    Weitere 9,99% sind Schlägerein, Skateboard-Knochenbrüche und junge tanzende Mädchen.

    Die von dir genannten künstlerisch hochwertigen Collagen und Remixe machen 0,01% aus und gegen die hat keiner was.

    Youtube ist wie eine Flasche leere. Viele Gelde haben wollen, aber keine Inhalte zahlen mögen 🙂

  4. Passt zwar nicht ganz zum Artikel, aber irgendwo bereitet mir die im vorherigen Posting und für dessen Argumentationslinie essentielle „objektiv feststellbare“ Existenz einer scharfen Abgrenzung zwischen Produzent und Rezipient in Zusammenhang mit der Netzkultur Schwierigkeiten.
    Deshalb ein kurzes Manifest meinerseits:
    Für mich stellt sich in Bezug auf YouTube und derartigen Plattformen bzw. den entsprechenden Veröffentichungen die Frage, wer hier als Urheber zu bezeichnen ist und inwiefern hier nicht sehr wohl Gegenleistungen erbracht werden – abseits des zugegebener Maßen etwas überstrapazierten Promotionsarguments. Denn wenn ein paar jugendliche Episoden von Knight Rider oder Star Trek nachsync. und dieselben über YouTube quer über den ganzen Planeten verteilt werden, sehe ich am allerwenigsten die Macher der Original-Episoden als Urheber, und die tatsächlichen Urheber bekommen sehr wohl das was sie wollen – „ihr Ding“ geht um die Welt – wohlgemerkt nur wenn es „gut genug“ ist bzw. mit den Mechanismen der Konvergenzkultur geschickt „spielt“.
    Ganz ehrlich: in kaum einem Fall der Youtube Videos, die ich kenne und in denen mit aktuellen Inhalten „gespielt“ wird, würde das Original-Werk irgendjemanden interessieren (und wenn dann aus Verklärung seiner Jugend, der 80er und was weiß ich – dann wäre aber – auch in der Gefahr diesen Gedanken nun überzustrapazieren – auch wiederum das kulturelle Umfeld der 80er als Urheber zu betrachten. Denn daher kommen die Emotionen und das Verlangen entsprechendes Material zu rezipieren. D.h. die „Einzigartigkeit“ des konkreten Musikstücks wird diesem quasi vom Rezipient verliehen. Überspitzt formuliert ist dieser quasi als Ready-Made Künstler zu betrachten, der den kulturellen Wert, den dieses Stück führ ihn hat durch die subjektive und spezifische Kontextualisierung selbst bzw. in Kooperation mit seinem sozialen Umfeld erarbeitet. Ich möchte in diesem Zusammenhang Brian Eno – wohlgemerkt selbst Künstler und Musikvisionär – anführen:

    „Es ist der Prozess, nicht das Produkt.“

    D.h. das neue – die „eigentümliche geistige Schöpfung“ – ist nicht das Ausgangsmaterial, sondern besteht in dem Umgang mit diesem. Dieser macht es interessant bzw. „wertvoll“. Hinzukommt nun – und hier sind wir unbestrittener Maßen bei einer Promotion- Wirkung, die ihres gleichen sucht – sollte irgendjemanden doch das Original interessieren, dann wird er sich dieses auch ansehen – und das nicht selten auch auf Basis finanzieller Gegenleistung. Denn: das Interesse an der Information ist geweckt und das noch dazu ohne die eigentliche Information Preis geben zu müssen. D.h. das Informationsparadoxon wirkt hier zu Gunsten des Bereitstellers der Information, da seine Information noch nicht vollständig, aber doch im Sinne von latenter Metainformation im „abgewandelten“ Werk vorhanden ist.
    Wichtiger in Bezug auf diese Entwicklungen, diese Hybridaktivitäten in der Mediennutzung (diese erreichen dank der neuen digitalen Produktionsmittel auf jeden Fall ein neues Level, wobei der Sprung meiner Meinung nach bezüglich der Auswirkung auf die Verteilung der Machtverhältnisse im kulturellen Feld maximal mit der Erfindung des Druckes vergleichbar und dementsprechend kaum mit bisher Schemata fassbar ist) ist meiner Meinung aber, dass das Ursprungsmaterial nicht vielmehr als Produktionsmittel ist, als Instrument zu betrachten ist, und nicht als Ergebnis eines Schöpfungsprozesses. Wieder Eno:

    „what has become interesting is the idea that artists are people who specialize in judgment rather than skill”

    Überspitzt formuliert ist Bösendorfer ja auch nicht der Urheber sämtlicher Klavierstücke die auf einem ihrer Instrumente komponiert wurden, nur weil die Firma durch ihr „Werk“ die physikalischen Möglichkeiten zur Umsetzung klanglicher Ideen zur Verfügung gestellt hat. Besonders deutlich wird dies wenn man Djing und Sampling betrachtet: Platten sind hier Instrumente, losgelöst von ihrer ursprünglichen Funktion, eingebettet in ein völlig neues subkulturelles Bedeutungsnetzwerk, dass erst definiert, dass das Ergebnis auch Musik ist. Anders formuliert wäre, dass was z.B. Dj Danger Mouse mit den Aufnahmen der Beatles gemacht hat, für diese und alle anderen Menschen ihrer Zeit, in Ermangelung der subkulturellen Umgebung niemals Musik gewesen bzw. hätten diese diese auch niemals in der Art erdacht (wobei stimmt nicht ganz – vielleicht doch: in der Sgt. Pepper’s Phase ;-)). Hinzukommt, dass sich ja auch die Beatles bekannter maßen sehr gern in der Romantik bedient haben. Trotzdem und meiner Meinung nach völlig zu Recht, würde kaum wer in Frage stellen, dass sie zu den einflussreichsten Musiker des 20. Jhd. gehören.
    Musik ist aus meiner Sicht wesentlich mehr als das Klangmaterial. Anders formuliert: Nicht das Musikstück programmiert das Muster einer sozialen Aktivität, sondern Musik, wobei in diesem Fall eben mehr gemeint ist als die physikalisch-akustische Realität eines Klanges, ist Resultat von diesem. Analog dazu ergibt sich auch die Subjektsposition im Bezug auf die Musik erst durch diese komplexen Wechselwirkungen. D.h. bezeichnet man sämtliche „Internetproduktionen“ als Diebstahl, sagt diese Behauptung mehr über den Behaupter aus, als über die Produktionen bzw. die Urheber. Denn wer wen als Urheber betrachtet ergibt sich meiner Meinung nach aus der kulturellen und per se niemals ahistorischen (sozialen) Identität. Ich möchte sogar so provokativ sein und behaupten, dass sich hier so etwas wie der Habitus – im Sinne des kulturellen Pendants zum Archetypenkonzept in der Psychologie – bemerkbar macht. Dabei schließ’ ich mich selbst natürlich nicht aus (Vota Comunista! ;-)).
    Kurz und gut: meiner Meinung nach wird Musik im Zuge dieser Entwicklungen also immer weniger Musik per se, sondern immer mehr Musik über andere Musik, quasi Metamusik. Rezeption und Produktion konvergieren in einem Prozess. Ein wortschöfperisch-geschwängerter Versuch meine Gedanken dazu auf den Punkt zu bringen: Es kommt nicht zu einer causalen „Reduktion“ eines bekannten Werkes, die sich profitgetrieben der Aura des Werkes bedient, sondern zu einer prospektiv finalen „Prozeption“ die als Endprodukt was völlig neues ansteuert, das Ausgangsmaterial kontextspezifisch aufwerten möchte. In dieser Betrachtung wird geistiges Eigentum also zur Shareware, dessen Wert gerade durch Anwendung, Abwandlung und Erweiterung in verschiedenen Sinnkontexten steigt. Und Rezipienten werden im Zuge der Partizipation an der industriellen Kulturproduktion eben nicht auf Basis der Zerstörung dieser gestärkt, sondern in Abwandlung und Erweiterung ihrer Produkte sowie der Diversifizierung der Perspektiven auf diese und der Rückleitung des Ergebnisses in das System. Das dazu die partielle Entzauberung der künstlerische Tätigkeit notwendig ist, versteht sich von selbst, denn erst im Zuge dieser Entwicklung werden theoretisch vielen zugängliche Produktionsmöglichkeiten auch in der gesellschaftlichen Praxis, dem Alltag, für jedermann demokratisch nutzbar.

    „So gut, wie jeder schreiben und lesen lernt, muß jeder schreiben und lesen dürfen.“

    Ich habe fertig! 😉

  5. Du sprichst hier ein sehr umfangreiches und hochinteressantes Thema an, das eigentlich ein eigenes Hauptposting verdient. Gerade auch sehr aktuell im GEMA youtube Streit.
    Es findet hier eine sehr verzerrte Wahrnehmung der beteiligten Parteien in der Öffentlichkeit statt. Immer sind die Urheber (deren Vertreter in form von labels oder der GEMA/AKM etc.) die „Bösen“ und youtube oder hier play.fm die „Guten“. Bei einem kurzen Blick ins Heise Forum kann einem ganz übel werden, mit welchen Argumenten da hausiert wird, bzw. wie das Image der Parteien ist.

    Tatsache ist doch, dass Firmen Geld verdienen (youtube, ich nehme play.fm jetzt hier raus, da ich deren offizielle Stellungnahme zu dem Thema nicht kenne), mit den Inhalten der Kreativen und diesen nichts davon abgeben wollen. Angeführt wird immer das ewige Promotionargument.
    Wenn man aber einen Songtitel in ein Suchfeld eingibt hat das nichts mehr mit Promotion zu tun, sondern das ist Konsum – on-demand Konsum und die Konsumenten erhalten eine Leistung. 70% des youtube traffics wird mit Musik generiert, insofern auch 70% von youtubes Werbeeinnahmen. Ein Radio muss ja auch GEMA bezahlen und das ist nicht einmal on-demand.

    Google hat diese Strategie schon einmal verfolgt. Erstmal alle Bücher scannen und online stellen, so dass man schnell eine quasi Monopolstellung erreicht. Und dann erst sich Gedanken machen darüber, was die Urheber dazu sagen. Bis dahin hat Google aber schon so eine Monopolstellung inne, dass wieder das Wohlfahrtargument ins Spiel kommt, bzw. die Macht von Google einfach zu groß geworden ist, etwas dagegen zu tun. Die Urheber lassen sich dann abspeisen so a la „lieber ein wenig als gar nichts“.

  6. Play.fm will’s wissen.
    Der allgegenwärtigen Krisenstimmung trotzt das von Wien aus operierende Online-Portal Play.fm. Bisher ein unkommerzielles „Internet-Radio“, soll ab sofort mit neu installierten Features gutes Geld verdient werden. Wie das funktionieren soll und warum (wieder einmal) die Urheberrechts-Problematik ein Hemmschuh ist, kann man hier lesen: http://futurezone.orf.at/stories/1503262/

    keep swinging!
    MH

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